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Montag, 20. April 2020

14/100: Wer spricht, und mit wem, und warum (und so)


Als ich begann, diesen Post zu schreiben, kam ich genau drei Sätze weit. Und auch das erst nachdem ich einen anderen Einstieg (in was eigentlich?) als doch zu verfänglich verworfen hatte. Während diese drei Sätze sich quasi selbstständig in die Tastatur eingaben, hatte mein Kopf Gelegenheit darüber nachzudenken, an wen ich da eigentlich gerade das Wort richtete.

Was habe ich mich schwer getan in den letzten Tagen, hier etwas zu schreiben  - mir fiel einfach nichts ein. Ein Zustand, der ebenso erwartbar war, wie er mir, solange ich in ihm feststeckte, unüberwindbar erschien. Einfach tun, blieb irgendwann als einzige Lösung zurück. Das Ergebnis daraus war eine Art Tagebuchstil. So weit, so gut, aber mir fiel auf, dass ich schrieb, als würde ich einer zukünftigen Menschheit berichten, und nicht einem Publikum, das meine Gegenwart teilt. Daran ist an sich nichts falsch, aber es hat mich ins Grübeln gebracht, wen und was ich hier eigentlich erreichen will. Nicht, um in gut und schlecht, richtig oder falsch zu sortieren. Eher aus autoethnografischer Perspektive, also nur so interessehalber. 

Dass heutzutage eigentlich niemand mehr Blogs liest, war mir klar, schon bevor ich mich auf diese Sache hier eingelassen habe. Bisher wurde diese Annahme auch noch durch nichts widerlegt und ein Stück weit lag auch gerade darin die Verheißung. Sowieso habe ich ja einen soft spot für Überholtes und mal ehrlich, wer und wo wäre ich ohne Nostalgie als Triebfeder? Ein bisschen hatte ich auch gehofft, dass hier könnte ein ruhiger Ort sein, etwas abseitig, eine Art Lichtung, von der man sich den Wald angucken kann, ohne selbst so richtig drin stehen zu müssen.

Trotzdem führt mir die Wirklichkeit gerade wieder vor Augen, was ich eigentlich längst wusste: Es ist schwierig zu wissen, wer man ist oder sein soll, wenn man es nur für sich ist. Wenn da keine anderen sind, für (oder gegen) die man etwas ist, wenn weder Zwist noch Vergemeinschaftung stattfinden können. Wenn ich kein Publikum habe, mit wem spreche und an wen schreibe ich dann? Und warum tue ich es dann überhaupt?

Die Parallelen zu dem, was wir alle - einige mehr, andere weniger - derzeit auf anderen Ebenen erleben, sind natürlich offenbar. Im Großen und Ganzen habe ich in der momentanen Situation durchaus das Gefühl, neben meiner finanziellen, gesundheitlichen und sozialen Situation auch insofern ziemlich gut dran zu sein, als ich vieles von dem, was nun zur Notwendigkeit wird, ohnehin schon immer gemacht habe. Ich bin ja auch unter normalen Umständen viel für mich und kann das ganz gut. Trotzdem kenne in dieser Hinsicht unterschiedliche Daseinszustände. Dass ein Unterschied zwischen allein und einsam besteht, ist ja nichts Neues. Meine besten Momente habe ich meistens kurz nachdem ich mit anderen Menschen zu tun hatte. Wenn ich schon wieder für mich bin, die anderen aber noch in mir widerhallen.

Das alles hat mich oft an Ubuntu denken lassen in den vergangenen Wochen, diese vor allem afrikanischen Gesellschaften zugeschriebene Idee, Menschen nur als bzw. in Gemeinschaft zu denken, das Menschsein als kollektive Erfahrung. Diesen Radio-Beitrag vom BR fand ich ganz interessant, auch den Vergleich mit "westlichen" Philosophien und deren Hang zu theoretischen Konzepten und Definitionen. Ubuntu scheint mir nicht zuletzt auch etwas zu sein, was man fühlen und erleben muss, wenngleich es natürlich Versuche gibt, die Bedeutung in Worte zu fassen. Desmond Tutu zum Beispiel erklärt es so:
"I wouldn't know how to speak like a human being. I wouldn't know how to walk like a human being. I wouldn't know how to think like a human being. All of these things I learn from human beings. So, I actually need other human beings in order for me to be human. […] A person is a person through other persons."
Du musst du sein, damit ich ich sein kann. Und ich muss ich sein, damit du du sein kannst.

Was das letztlich auch bedeutet - und was wie ein Rettungsring ist für mich in meiner Sinnsuche, ebenso wie für diesen Text, der mir schon wieder davon zu laufen droht - ist die Idee, dass Menschen miteinander verbunden sind, Teile eines Ganzen. Jede meiner Handlungen, jede Entscheidung, jedes Wort wie jedes Schweigen, beeinträchtigt demnach auch alle anderen. Denn selbst wenn das, was ich tue, zunächst nur mich selbst verändert, trete ich als verändertes Ich den anderen gegenüber. Was ich bewirke, wirkt irgendwann auf mich zurück - alles ist mit allem verbunden.
Vielleicht ist dann auch das Schreiben an diesem Ort hier, der regelmäßige Rückzug auf meine kleine Lichtung, um ein paar Gedanken zu wälzen und Worte aneinander zu reihen, nicht zwingend vergebens. Vielleicht liegt der Gewinn einfach eher im Schreiben als im Gelesenwerden, bestimmt nicht allein Konsum über den Wert des Produkts, ist eben doch der Weg das Ziel.

Dienstag, 14. April 2020

8/100: Ablenkungen


Do back exercises. Pain is distracting.
Diese Sätze von Margaret Atwood hängen mir nach, seit Jahren schon, als ich sie in diesem Artikel zum ersten Mal las. Heute bekam ich sie den ganzen Tag nicht aus dem Kopf. Aus Gründen.

Sonntag, 12. April 2020

6/100: Ostern viral

"Man kann doch nicht den ganzen Tag nur im Bett lungern und lesen!", erklärte man mir heute.

Kann man nicht? Kann man doch.

(Wobei ich das nicht mal für mich reklamieren kann, immerhin habe ich heute unter anderem auch eine Torte dekoriert, ein Spargel-Essen gekocht und mit Oma telefoniert.)


Freitag, 10. April 2020

4/100: Challa

Nach dem gestrigen Geschwurbel heute was Handfestes. Ich habe gebacken.


Challa stand schon länger auf der Liste und als ich Anfang der Woche mehr oder weniger zufällig auf Netflix "Unorthodox" sah, erinnerte ich mich an dieses zwischenzeitlich fast vergessene Vorhaben. (Meine Gedanken zu der Serie würde ich bei Gelegenheit gerne auch mal halbwegs geordnet niederschreiben, aber momentan brauchen die Eindrücke noch etwas Reifezeit, glaube ich.)
Gleich am nächsten Tag habe ich den Teig angesetzt und bin in diesem Fall tatsächlich mal meinem immerwährenden Vorsatz, mir Entscheidungen nicht unnötig kompliziert zu machen, treu geblieben. So wurde es gleich das erstbeste Rezept, allerdings musste ich mir mit einem anderen Mehl behelfen, denn 550er gaben die Vorräte nicht her. Andererseits kann man sich ja dieser Tage glücklich schätzen, überhaupt Mehl zu haben. Das Ergebnis wurde so jedoch etwas vollkörniger. Dem Gehenlassen im Kühlschrank standen große Mengen zwingend kühlungsbedürftiger Ostereinkäufe im Wege, sodass ich auf eine mit einem kalten feuchten Tuch bedeckte Schüssel ausweichen musste.

Ungefähr 20 Stunden hat der Teig insgesamt geruht. Das Aufessen (ich hatte Hilfe) ging mit gut 20 Minuten wesentlich schneller...


Donnerstag, 9. April 2020

3/100: Unterwegs

Heute morgen empfing mich mein Computer mit zwei Terminerinnerungen. Erstens: Heute Gründonnerstag (ganztätig). Zweitens: Meiner englische Gastmutter hat heute Geburtstag. Letzteres muss ich wohl irgendwann einmal in meinen gmx-Geburtstagskalender eingetragen haben, kann mich jedoch nicht entsinnen, einer derartige Benachrichtigung auch die letzten Jahre erhalten zu haben. Die Aufgaben dieses Tages (nach knapp vier Wochen Freistellung arbeite seit heute auch ich im Home Office) spülten die Information ohnehin schon kurze Zeit später wieder aus meinem Bewusstsein. Erst eben gerade, als ich mit dem Hund draußen war, fiel es mir wieder ein und brachte mich zum Nachdenken. 51 wird sie heute, denn 41 wurde sie, als ich gerade dort war. Zehn Jahre ist das her. 


"Schon zehn Jahre!", bin ich versucht zu sagen und ich glaube, mein Eindruck rührt vor allem daher, dass ich mich noch so gut daran erinnere, wie ich in der siebten, achten Klasse anfing, Kataloge von Austauschorganisationen zu sammeln. Die Zeit, bis ich endlich alt genug wäre, schien mir damals unvorstellbar lang. Und doch gab es diesen einen Augenblick, etwa anderthalb Jahre, bevor es dann tatsächlich losging, in dem ich wie in einer plötzlichen Eingebung mit einem Mal mein älteres Ich vor mir sah, das nach Ende des Jahres wieder in Berlin aus dem Flugzeug stieg. So wird es kommen, dachte ich mir damals. Was eben noch Zukunft war, wird plötzlich zur Vergangenheit - die herbeigesehnte Zeit kommt und ist gleichzeitig schon wieder im Begriff zu verschwinden.
Gleichzeitig erinnere ich mich, wie endlos sich viele Tage in diesen kurzen letzten zehn Jahren - ungefähr 3658 müssten es gewesen sein - für sich genommen anfühlten. Wie langsam die Zeit zu vergehen schien, wie ich den Eindruck hatte, vor lauter Stillstand zu ersticken.

Und nun muss ich aufpassen, dass ich die Kurve kriege und mein ursprünglicher Gedanke nicht abhanden kommt. Denn was ich eigentlich (für mein zukünftiges Ich und wer auch immer es sonst noch gebrauchen kann) festhalten wollte, war dies: Ein Tag ist nur ein Tag. Letztlich aber braucht es die Wiederholung, das Tag für Tag, um Veränderung nicht nur möglich, sondern auch sichtbar werden zu lassen. Dass Veränderungen im vergangenen Jahrzehnt auch dann stattgefunden haben, wenn es sich für mich kein bisschen danach anfühlte, hat vielleicht damit zu tun, dass sie manchmal mehr um mich herum, als in mir vonstatten gingen. Vielleicht sieht man die Gegenwart nicht, vielleicht ist sie nicht viel mehr als der Moment, aus dem man auf Gewesenes und Kommendes blickt. Vielleicht braucht es die Ankunft, um den Weg erkennen zu können.


Mittwoch, 8. April 2020

2/100: Auf der Suche nach dem B


Tag 2. Spätestens heute wird mir klar, dass das Anfangen keinesfalls der Schritt über die Schwelle ist. Mit etwas Glück ist es der Schritt auf die Schwelle, wenn nicht nur das vorsichtige Abheben eines Fußes. Der Moment, in dem das Gehirn den entsprechenden Impuls losschickt. Ein Zucken im Zeh.

Wer A sagt, muss auch B sagen. Diesen Satz las ich, als ich gestern, voller Zweifel über meinen soeben in die Welt gesetzten Anfang, das Internet befragte. Was ich zu finden hoffte, ist mir im Nachhinein nicht mehr ganz klar. Vielleicht Bestätigung, dass mein zögerndes, zaghaftes Beginnen schon irgendwie in Ordnung war. Vielleicht eine Idee, wie es besser zu machen sei gewesen wäre. Oder eben irgendein Einfall, wie es nun weitergehen könnte. Ein B zu meinem A. 

Der obige war ein Satz unter vielen, davon einige (die meisten) ermutigend - solche, in denen man sich ein bisschen einwickelt und sofort besser fühlt. Dann aber auch solche wie "Nichts macht das Leben ärmer als vieles anfangen und nichts vollenden." Angeblich von Christian Morgenstern geschrieben, fand ich den beim ersten Lesen wenig erbaulich, um nicht zu sagen deprimierend. Ein bisschen las sich das wie "Besser gar nicht erst anfangen!". Glücklicherweise habe ich dann aber gegoogelt, was zunächst vor allem als kleiner Faktencheck bezüglich der Urheberschaft gedacht war, dann aber auch sonst ausgesprochen erhellend war, denn natürlich lässt er sich an derselben Stelle noch etwas umfangreicher zum Thema aus (Beweis hier, S. 169):

"Von sich zurücktreten wie der Maler von einem Bilde - wer das vermöchte!
Jeder von uns hat etwas Unbehauenes, Unerlöstes in sich, daran unaufhörlich zu arbeiten seine Lebensaufgabe bleibt.
Darin kann man Tolstoi unbedingt Recht geben: Was man Taugliches wird, wird man in der Regel trotz der Schule, nicht durch die Schule.
Gute Erziehung - ein zweischneidig Schwert. Mancher wird nie ein wirklicher Mensch, ein Mensch von U m f a n g , infolge seiner guten Erziehung.
Suche allem nach Möglichkeiten eine Folge zu geben. Nichts macht das Leben ärmer als vieles anfangen und nichts vollenden.
Aber ebenso gewiß ist, daß wenn auch kein Schuß ins Schwarze trifft, unzählige es wie ein Sternenhimmel umschreiben."

Was ich nun aus der Passage herauslese klingt schon ganz anders:


  • unaufhörlich = Nichts ist jemals fertig (gilt auch für Menschen). Wer lebt ist im Werden, sich weiterzuentwickeln gleichermaßen unausweichbare Pflicht und wertvolle Chance. 
  • Suche allem nach Möglichkeit eine Folge zu geben. = Ein Aufruf zum Dranbleiben: Mach weiter, so gut wie du kannst. 
  • Und dann die Sache mit dem Sternenhimmel, die ja als Bild so schräg wie präzise ist, dass sie eigentlich keiner Entschlüsselung bedarf. Im Grunde das Gegenteil von "Knapp daneben ist auch vorbei."

Ob diese Worte tatsächlich als der Appell zum Weitermachen und als das Plädoyer für den Versuch gemeint waren, die ich darin nun zu erkennen meine? Ehrlich gesagt weiß ich dazu nicht genug über Christian Morgenstern. Ich erinnere mich, dass wir eines (oder mehrere?) seiner Gedichte in der Grundschule lasen und vielleicht sogar auswendig lernten. Genauere Erinnerungen sind über die Jahre verschütt gegangen, aber wahrscheinlich würde ich es wiedererkennen. Jedenfalls ein lustiges.

Mittlerweile habe ich mich etwas "belesen" (wobei die Lektüre eines Wikipedia-Artikels selbstredend nur schwerlich zum Erwerb nennenswerter Expertise taugt, aber besser als nichts). Hängen geblieben ist dabei vor allem die Geschichte, dass Morgenstern sich im Herbst 1897 per Vertrag dazu verpflichtete, für den S. Fischer Verlag Werke von Henrik Ibsen zu übersetzen - ohne Norwegisch zu können! Das spricht ja eigentlich für sich.

Dienstag, 7. April 2020

1/100: Ein Anfang


Gerne würde ich behaupten, dieser Anfang sei ein wohldurchdachter. Gedankenumrankt wäre wohl zutreffend, doch letztlich führten all meine Erwägungen und Grübeleien im Kreis, nie irgendwo ankommend, drumherum statt irgendwohin. Selbst als das Ob lange beantwortet war, blieb immer die Frage nach dem Wie. Womit beginnen? Es gäbe so viele erste Schritte. Ihnen allen gemeinsam ist, dass man sie gehen muss. 

Also beginne ich heute mit diesem Bild (schien passend) und einem Plan: 100 Tage werde ich hier etwas veröffentlichen, jeden Tag, egal worüber.

Und das ist er auch schon, der erste Schritt, hier und heute. Hallo!

14/100: Wer spricht, und mit wem, und warum (und so)

Als ich begann, diesen Post zu schreiben, kam ich genau drei Sätze weit. Und auch das erst nachdem ich einen anderen Einstieg (in was eig...